Franz ZauleckZaulex.de

5. April 2013: Jürgen Rennerts Laudatio zur Vernissage der Ausstellung "Papier. Korb. Zeit" in der Kulturbundgalerie Berlin-Baumschulenweg

Lieber Franz Zauleck, ehrwürdige Trauergemeinde,

wir haben uns hier in unserem tiefen Schmerz an einem guten und tröstlichen Ort versammelt. Unweit des von den Erbauern des Bundeskanzleramtes Schultesund Frank 1999 neu errichteten hauptstädtischen Krematoriums. Nun gilt es, von einer allzu früh Verblichenen gehörig Abschied zu nehmen. In ihrer auf ein dreihundertmaliges Erscheinen begrenzten, kaum zweieinhalbjährigen Lebenszeit war sie vielen von uns in jenem Maße vonnöten, wie sie uns im Munkeln und Dunkeln des bundesrepublikanischen Presswesens durch ihren Esprit und ihr jähes Aufblitzen die Tage erhellte. Vielen von uns war sie lieb, aber ‐ von ihrem Erzeuger abgesehen ‐ keinem zu teuer. Abgedeckt durch die Flatrate der diversen Internet‐Connections stellte sie sich bei knapp fünfhundert Abonnenten zwei‐ bis dreimal in der Woche treulich als E‐Mail‐Attachement ein und bot ‐ zumeist verblüffend subversiv und geistesgegenwärtig ‐ einen in Wort und Bild bestechenden Unter‐ und Beitext zu gerade eben publizistisch Vermeldetem. Was Axel Schultes einst zu den Intentionen des Krematorium‐Entwurfs bemerkte, lässt sich ‐ wenn wir „Ort“ durch „Blatt“ ersetzen ‐ auch vom Vater der in die virtuelle Ewigkeit Abberufenen unterschreiben: „Es galt, ein Blatt herzustellen, das das Vergängliche und das Endgültige ausbalanciert, das Schwere deutlich und Erleichterung möglich macht.“ (Zitiert nach „Wikipedia“.) Mir fehlt die Hingeschiedene nun sehr. Denn zu den fragwürdigen Geschenken meines berenteten Daseins gehört jener enorme Zuwachs an Zeit, den ich allmorgendlich an die Lektüre deutschsprachiger Zeitungen und Zeitschriften verschwende, die mir über den blechernen und den elektronischen Briefkasten ins Haus kommen. Damit habe ich bis zum späten Vormittag derart zu tun, dass mir am Mittag bereits aller Appetit auf weitere Unterrichtung und konzertierte Desinformation vergangen ist.
Die vermeintliche Meinungsvielfalt der gutbürgerlichen deutschen Medien erschöpft sich für mich in der meist nur geringfügig veränderten Syntax der Vermeldungen und in der noblen Verhaltenheit, respektive dreisten Schwärze ihrer Titelzeilen. Ob das nun von Springer oder Bauer, DuMont, Holtzbrinck oder Bertelsmanns Gruner & Jahr kommt.
Wie hilfreich, wie ermunternd, wie auf‐ und wie anregend war mir da in den vergangenen siebenundzwanzig Monaten die jüngste Tochter aus dem Hause Zauleck, die „Neue Berliner Papierkorbzeitung“, produziert und verlegt in Berlin und Mentin. Hin und wieder wechselte sie ‐ meist durch global bewegende Geschehnisse veranlasst ‐ ihren Titelkopf. So gab es u. a., von den AbonnentInnen weitgehend unbemerkt, die „Neue Ägyptische“, die „Neue Perestroika“, die „Neue Leipziger“, die „Frühlings Papierkorbzeitung“ („Abends rechts einschlafen“!), die „Neue Blaugelbe“, die „Neue Oster‐Papierkorbzeitung“, die „Neue Royal“ und die „Neue Kabuler“. Bis hin zur letzten, am 28. Februar 2013 erschienenen „Neuen Römischen Spaßmacherzeitung“.
Ich war derart in Zaulecks Töchterchen verliebt, dass es mir häufig genug schwerfiel, nach ihrem Erscheinen die Tinte zu halten. Auch jetzt, in der Stunde des Abschieds, drängt es mich zu erinnern und vorzutragen, wozu es mich beim Anblick ihrer Erscheinungen trieb. Zur hundertsten Ausgabe, die den belgischen Hundertfrankenschein, James Sidney Ensor beidseitig erinnernd, vor Augen führte, bemerkte ich:

Hundertmal Papierkorbzeitung
in Franz Zettens Zubereitung!
Mimicry der Zeitgeschichte
im Falsette der Schwergewichte.
Gäbe es sie noch, die Franken,
könnten wir mit ihnen danken.
(Meine Franken, lieber Franz,
schössen ein in die Bilanz!)
Doch die Börsen der Verehrer
Deiner Zeitung werden leerer.
So bringt Dir die Nummer 100 ‐
wiewohl rundherum bewundert ‐
wieder nichts ein als die Kosten
eines Westens, den der Osten
geistig sittlich übernimmt
und auf eine Lesart trimmt,
die sich letztlich offenbart
als ein Part im Widerpart
unerhörter Selbsterfahrung:
profitabel bleibt die Paarung!

Und die 132. Erscheinung an Kleistens Todestag quittierte ich mit:

Frömmelnd flicht das Feuilleton
Kränze um den Musensohn,
den es lebenslang verstieß.
(Ohne Moos und ohne Kies
lässt sich ‐ neben andern Sachen ‐
keine Abendzeitung machen ...)
Hinter der Verzweiflung lauert,
was das Leben überdauert:
Quietschvergnügt wie Micky Maus
tobt der Tod sich köstlich aus.
(Im Getränk aus braunen Bohnen
muss ein lieber Vater wohnen ...)
Deutsche Dichter, deutsches Leben,
ständig geht da was daneben.
(Leider nie der Todesschuss,
und so war vorzeiten Schluss
mit der Jette und ‐ du weißt ‐
dem geschätzten Herrn von ...)

Doch als sich die NBPKZ in ihrer 169. Ausgabe einmal mehr am neuen Bundespräsidenten vergriff, machte ich mich bei dem bis 2012 amtierenden Präsidenten des Bundesverfassungsschutzes rechtzeitig und vorsichtshalber lieb Kind:

Kim‐Il‐Gauck, die große Sonne,
zerrt der Zauleck in die Tonne
seiner Schand‐ und Schauderzeitung!
(Die der wachsamen Begleitung
durch den Staatsschutz sicher ist,
wie ich hoffe, als ein Christ,
der mit Gauck im Pulverdampf
vornean im Freiheitskampf
gegen Sowjetdespotie ...
Heinz Fromm, übernehmen Sie!)

(Auch solch freimütiges Eingeständnis gehört ins genaue Erinnern an die Verblichene. Ich rechne auf Tilgung und Absolution im Apparat der stets gottgleichen Sicherheitsdienste.) Vielleicht rettet mich da auch mein bündiger Kommentar zum vierundsechzigsten Erscheinen der NBPKZ, die am 8. Mai 2011 den Muttertag und den „Tag der Befreiung“ mit der „Riesin Marianne Wehde neben einem mittelgroßen Manne“ feierlich ins Bild setzte:

Ödipal und adipös,
macht mich Sixtyfour nervös.
Mit euch hoff´ich auf Entzweiung
an dem Tage der Befreiung!

Geliebte NBPKZ, du wirst uns, Du wirst mir fortan sehr fehlen. Ohne Dich hätte ich mich zu vielem niemals aufgerafft, hätten wir alle uns nicht heilsam verstören und widerständig bestärken lassen. Friede Deiner Asche! Oder ‐ um es mit dem gleichfalls früh verstorbenen Georg Büchner zu sagen ‐ „Friede den Hütten!
Krieg den Palästen“.

P.S.: Bevor wir nun in aller Stille die in Kopien überlieferten Blätter Deines Daseins noch einmal betrachten und nach einem Glas Wein auseinandergehen, bitte ich die wahrhaft Leidtragenden unter Ihnen, von Kranz‐ und Blumenspenden abzusehen. Und das dafür reservierte Geld in das von Franz Zauleck inhaltlich, technisch und finanziell besorgte schöne Gedenkbuch „Papier. Korb. Zeit“ zu investieren.

Danke!
Jürgen Rennert

weiterlesen