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17. April 2013: Reinhardt Gutsche "Visuelles Kabarett in Baumschulenweg"

Nach reichlich zwei Jahren und 300 Ausgaben ist Schluß. Die Kulturbund Galerie Treptow beging das Ende der „Neuen Berliner Papierkorbzeitung“ mit einer Ausstellung
Das kleine Kulturzentrum des Kulturbundes Treptow in Berlin-Baumschulenweg hat schon viele Veranstaltungstypen erlebt: Konzerte, Lesungen, Vernissagen, Hoffeste usw. Am 5. April kam eine neuer hinzu, die Trauerfeier. Zu Grabe getragen wurde ein originelles Publikationsprojekt, „Die Neue Berliner Papierkorbzeitung“ von Franz Zauleck, die nach nur reichlich zwei Jahren und 300 Ausgaben wieder eingestellt wurde. Dichtgedrängt lauschte die zahlreich erschienene Trauergemeinde ergriffen der Abschiedsrede von Jürgen Rennert und erfreute sich an der aus diesem Anlaß in der Kulturbund Galerie ausgestellten Printversion der bislang nur digital existierenden Zeitungsblätter.
Ihr Schöpfer Franz Zauleck verkörpert als Kostüm- und Bühnenbildner, Grafiker, Illustrator, Verfasser von Hörspielen und Kinderbüchern wahrlich ein kreatives Cross-Over der Künste, ein Grenzgängertum der Genres, ist „ein Mann also von universaler Versuchslust“ (Hans-Dieter Schütt). „Die Neue Berliner Papierkorbzeitung“ ist ein genuines Produkt dieser Sucht, Wort und Bild zu einem eigentümlichen Träger sarkastischer Botschaften zu verkleben. Sie ist/war im doppelten Wortsinne ein-seitig, d. h. jeweils nur aus einer Seite bestehend und bewußt darauf angelegt, sehr einseitige, pointierte, witzige und mitunter boshafte Kommentare zu Zeitgeist und Zeitgeschehen zu vermitteln. Es sind nicht nur Collagen im strikt bildkünstlerischen Sinne, sondern erweitert um die textlichen Dimensionen des Wortspiels und der Anspielung, auf diese Weise ideologische Versatzstücke, wie wir sie täglich ertragen müssen, respektlos verquirlend und damit in subversiv-erhellender Absicht verfremdend. Der Betrachter, sofern er Spaß an beziehungsreicher Ambivalenz und die Nase voll von propagandistischem Einheitsbrei hat, erfreut sich an diesem visuellen Kabarett, diesem Feuerwerk der Evokationen. Wie ein Bühnenbildner benutzt Zauleck dafür Bruch- und Fundstücke alter Werbeplakate, Propagandafotos, Alltagsbilder aus Omas Zeiten, Postalien, Comics, vertraute politische Losungen usw. gleichsam als Requisiten ikonografischer Inszenierungen voller geschichtsträchtiger oder aktueller Hintergründigkeit. Dem Betrachter wird somit in ungebremster satirischer Schärfe der Zeitgeist in vielen seiner grotesken, absurden und nicht selten dämonischen Aspekte vor Augen geführt, um nicht zu sagen, unter die Nase gehalten. Ihm wird mit dieser stotternden Schnipselkultur des bewußten Fragments, der nur andeutenden Gestikulation und der demonstrativen Simultanität der Bilder und Topoi nicht wenig abverlangt und zugemutet, vor allem die Fähigkeit und das Vergnügen, scheinbar in anderen Kontexten Verstreutes und Fernliegendes in unvermuteten Zusammenhängen zu sehen und spaßvoll umzudeuten.
In seiner Grabesrede bescheinigte Jürgen Rennert der verblichenen „Neuen Berliner Papierkorbzeitung“, vielen in jenem Maße vonnöten gewesen zu sein, „wie sie uns im Munkeln und Dunkeln des bundesrepublikanischen Presswesens durch ihren Esprit und ihr jähes Aufblitzen die Tage erhellte.“ Sie sei das Geschöpf eines Menschen gewesen, von dem er sich frage, woher „seine anarchische Freigeisterei, sein unbekümmerter Freimut, sein auch formal erfrischend ungebundenes Lassen und Tun“ rühre.
Die Erinnerung an berühmte publizistische Einzelkämpfer drängt sich natürlich auf, wie Karl Kraus mit seiner „Fackel“ es einer war, vor allem aber an Franz Pfemfert mit seinem berühmten Flaggschiff des Expressionismus‘ »Die Aktion«. Auch in dieser von 1911 bis 1918 erschienenen »Wochenschrift für Politik, Literatur und Kunst« war das Herausschneiden aus dem Zeitgeschehen und Zusammenfügen von vermeintlich abseits Liegendem oder Abgetanem ein beliebtes und produktives Verfahren, den Vorgängen auf der politischen Bühne auf die hintergründigen Schliche zu kommen. »Ich schneide die Zeit aus« war eine von Pfempferts ständigen Kolumnen überschrieben. Der Laudator verwies auf noch andere inspiratorische Quellen des von Franz Zauleck praktizierten Collage-Verfahrens, wie El Lissitzky, Kurt Schwitters, das MERZ-Magazin und die MERZ-Gedichte der deutschen und Schweizer Dadaisten, aber auch auf die später von den Hitleristen als „entartet“ geehrten Blätter von George Grosz und John Heartfield.
Kern der „Neuen Berliner Papierkorbzeitung“ und damit der Ausstellung ist und war es, scheinbar Unzusammenhängendes zu verknüpfen und in neue kontextuelle und interpretatorische Zusammenhänge zu stellen. So konnte es sich Jürgen Rennert in seiner Trauerrede natürlich nicht verkneifen, auf die zufällige örtliche Nachbarschaft der Kulturbund Galerie Treptow in der Ernststraße zu dem in der 1990er Jahren errichteten Krematorium Baumschulenweg zu verweisen, dessen Architekten Schultes und Frank zugleich das neue Bundeskanzleramt (im Berliner Volksmund auch „Waschmaschine“ genannt) in Tiergarten auf ihrer Referenzenliste haben. Der Laudator enthielt sich respekt- und pietätvoll weitergehender Parallelen...

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