Franz ZauleckZaulex.de

30. Mai 2013: Keine Reise wegen nichts – Laudatio für ATAK zur Ausstellung der ZEITZEICHNER in Frankfurt an der Oder

1
Es gibt eine Bildkartenerzählung mit dem verheißungsvollen Titel »32 Stufen zum Erfolg« Der Autor ist Atak. Die 31. Stufe schenkt uns einen ungeheuren Satz. Er lautet: »Niemand unternimmt eine Reise wegen nichts.« Heute geht die Reise in das philosophische Frankfurt, das immer mit einer Frage endet: Frankfurt, oder?
»Weil Frankfurt so groß ist/Darum teilt man es ein/In Frankfurt an der Oder/Und Frankfurt am Main.« In Frankfurt West stehen große Häuser und großen Banken. Main! In Frankfurt Ost wurden Kleist und Atak geboren. Oder?

2
Niemand unternimmt eine Reise wegen nichts. Ich stelle mir vor, dass eines nicht allzu fernen Tages ein Außerirdischer unsere Erde besuchen wird. Sein Auftrag lautet: in kürzester Zeit möglichst viel Material über den Zustand des Planeten einzusammeln. Diese Reise ist von großer Wichtigkeit, schließlich bereitet sie die Invasion der Leute von draußen vor. Im All herrschen miserable Verhältnisse und es hat sich herumgesprochen, dass man auf der Erde gut leben kann. – Gute Luft, gutes Wasser, gutes Klima, viel Gemüse, schöne Tiere.

3
Der Spion von draußen hat nicht viel Zeit. Das galaktische Zeitfenster ist nur wenige Tage offen.

4
Der außerirdische Stasityp muss also versuchen, möglichst reibungslos Zugriff zu thematischen Archiven und gut gepflegten Listen zu erhalten. Die Zahlen und Statistiken über Kaffeeverbrauch und Zahnbürsten, Paarungsverhalten und Autobahnbau findet er bei Google. Aber wo sind die Listen für das Eigentliche?
Das Kaffeetrinken, das Zähneputzen, der Beischlaf und die Autofahrerei, denkt der Besucher aus dem All, sind gewiss nicht das Eigentliche der irdischen Existenz. Er braucht dringend Angaben über den kulturellen Mehrwert. In einer ökonomisierten Zeit heißt die Kultur kultureller Mehrwert. Der intergalaktische Dienstreisende hat irgendwo das Schillerwort aufgeschnappt, dass das Tier, was sich Mensch nennt und der Erde seinen Stempel aufdrückt, erst Mensch ist, wenn es spielt. Daraus zieht der Kundschafter aus dem schwarzen Raum den richtigen Schluss. – Er muss, falls es sie gibt, die Toy Box finden, in der sich die bedeutendsten Spielfiguren versammeln. Er braucht eine Übersicht über die wichtigsten Comic-Figuren, er benötigt Auskünfte über die 32 Stufen zum Erfolg und vor allem muss er herausbekommen, welches die nennenswerten Zeichnerinnen und Zeichner auf dieser Erde sind. Die albernen Ranking-Listen, die in den Ramschbuchläden bergeweise herumliegen, geben für den Mann, der aus der Kälte kommt, nichts her. Welcher Außerirdische muss die Top Ten der deutschen Currywurst kennenoder die Liste der komischsten Eiscreme-Unfälle von eins bis zehn?

5
Um es abzukürzen – Sie wissen längst, worauf diese Konstruktion hinausläuft – der galaktische Spion hat nur eine Chance, seinen Auftrag wunschgemäß zu erfüllen. Er muss bei Atak auf die Suche gehen. Atak! – der geheimnisvolle Mann mit den zwei Namen. Sein Pseudonym, das wissen die Kenner, lautet übrigens »Georg Barber«. Atak hat die wichtigsten Listen zum kulturellen Mehrwert zusammengetragen. Bei ihm gibt es die kostbaren Inventarlisten der besonderen Art in rauen Mengen. Da sie obendrein auch noch von Atak illustriert sind, sind sie nicht nur anschaulich,sondern auch unterhaltend. Atak sammelt so gut wie alles, was 99 Prozent der Menschheit wertlos erscheint. Neulich zeigte er mir voller Begeisterung einen Karton mit einer fantastischen Sammlung von abenteuerlich versehrten Gummisoldaten. Ein Antikriegsmuseum der besonderen Art.

6
Ich kann hier nicht alle Listen und und Verzeichnisse, die Atak angelegt hat, aufzählen, das würde den Rahmen sprengen. Aber einige muss ich nennen, damit klar wird, weshalb sich die exorbitante Secret-Service-Figur für Atak interessieren sollte. Hier findet er die »Box of Wonder«, nicht zu verwechseln mit der Heft-Reihe »Wondertüte«, die immerhin auch eine wesentliche Serie zur Ermittlung des kulturellen Mehrwerts darstellt. Es gibt die »Toy Box«, in der sich das nennenswerte Spielzeug der Welt findet. Auf die Toy Box ist der intergalaktische James Bond besonders scharf. Dann gibt es noch die »Old School von A bis Z«, das lückenlose Lexikon der Schwarzen Pädagogik. Wer dieses ABC nicht kennt, sollte seine Invasionsabsichten noch einmal überdenken. Die Sammlung der maßgeblichen Schießscheiben »Targets for the Modern Home« muss unbedingt noch erwähnt werden. Die Schüsse auf diese Scheiben treffen immer in die Mitte. Und dann haben wir noch die »Daily Paintings« – das Ataksche Bildertagebuch, ohne dessen Kenntnis die Geschichte des 21. Jahrhunderts weder verstanden noch geschrieben werden kann.

7
In dem edlen Berliner Journal »Das Magazin« – Scherzkekse nennen es den »New Yorker des Ostens« – sammelt Atak seit über zehn Jahren unter dem Titel »Zeitzeichner« die nennenswerten Zeichnerinnen und Zeichner dieses Planeten. Er hat jetzt mit Florence Upton 124 beisammen. Da es schätzungsweise noch tausend von dieser Sorte gibt, dürfen wir uns beruhigt auf die kommenden Jahrzehnte freuen. Wenn das so weiter geht, werden dann auch Zeichner dabei sein, die jetzt noch gar nicht geboren sind.

8
Die Zeichner-Galerie im Magazin blickt auf eine lange Tradition zurück. Herbert Sandberg und Harald Kretzschmar, beides große Zeichner, waren eiserne Sammler über Jahrzehnte. Atak unterscheidet sich von beiden aber deutlich dadurch, dass er seine Zeitzeichner nicht nur beschreibt, sondern auch tatsächlich jedesmal zeichnet.

9
Den Meistern der Zeichnung mit einer Zeichnung zu begegnen, ist ein wagemutiges Unternehmen. Chapeau! Ataks Zeichnung muss sich am Ende mit den Zeichnungen der Zeitzeichner messen. Die Zeitzeichner werden von Atak auf das Genaueste studiert und konterfeit. Er zeichnet sie nicht einfach so ab und dann so hin. Das geht natürlich nicht. Nein. Atak geht den anderen Weg. Er beobachtet Werk, Umfeld, Stil und sozialen Gestus der Künstler mit Respekt und Fleiß und leiht sich von jedem genau das, was er braucht. Es sind Zeit-Zeichner. In diese Porträts muss unbedingt auch die Zeit hinein. Die Stilzitate und Formanleihen verdichten das Bild zu einem regelrechten Essay. In diesen Blättern verbreitert Atak das eigene Spektrum der Mittel, indem er es mit den Formerfindungen und stilistischen Besonderheiten der porträtierten Künstler anreichert.
Es entstehen meisterhafte nonverbale Psychogramme, die zum besten der gegenwärtigen Porträtkunst gehören. Manchmal passiert es, dass der gezeichnete Steckbrief, den Text fast überflüssig macht.

10
Die Zeichner, die Atak in den Reigen der Zeitzeichner aufnimmt, dürfen sich, sofern sie leben, glücklich schätzen. Atak ist ein freundlicher Mann, aber seine Urteile sind messerscharf. Seine Maßstäbe sind quasi maßstäblich. Ich bin glücklich, dass ich einer von den Porträtierten sein darf. Diese Erwählung bedeutet mir mehr als jeder Bundesnationalpreis für Gutes Wissen mit Eichenlaub und Schwertern. Ein junger Mann, der neulich von mir eine künstlerische Kritik erbat, antwortete auf meine Frage, woher sein Zutrauen zu mir käme: »Atak hat Sie gepostet, das reicht!« Ich war, als ich mein Porträt erblickte, voller Bewunderung für das, was Atak da über mich und meine Arbeit erzählt. Ich hatte vorher gar nichtwahrgenommen, wie genau er sowohl den Gestus meiner Arbeiten als auch den Habitus meiner Person beobachtet hatte, um diese dann in einem Bildnis verknüpfen zu können. Die schmale Taille, die mir in diesem Porträt angemessen wurde, hat ausschließlich metaphorische Bedeutung.

11
Die Texte die Georg Barber zu den jeweiligen Zeitzeichnern verfasst, lassen sich leider schlecht ausstellen. Da wäre ein Buch hilfreich. Auf das Buch der Zeitzeichner – so teilt Atak mit – müssen wir noch sehr lange warten.

12
Es ist immer eine glückliche Fügung, wenn ein Künstler, der schreiben kann, über Kollegen schreibt. Nur der Künstler kennt die Fallstricke und Abgründe einer Künstlerexistenz wirklich. Nur er weiß, was einer stilistischen Entscheidung vorangeht und was daraus folgt. Er kennt die Risiken, die Qualen, und die Anforderungen an die seelische und körperliche Kondition, die ein künstlerisches Werk dem Künstler abverlangt. Er kennt die Herausforderungen des Erfolgs mehr als andere. Deshalb kann Atak auch so gut beschreiben, was er sieht und was er weiß. Er bedient sich einer lapidaren Erzähltechnik und ist dabei eher ein kühler, punktgenauer Chronist als ein feuriger, emotionaler Streiter.

13
Atak sieht nie von oben auf die Künstler herab. Er lässt sie immer durch sich hindurch gehen. Viele Beschreibungen verknüpft Atak mit eigenen biografischen Episoden, die seinen unteilbaren persönlichen Bezug zu dem jeweiligen Zeitzeichner schildern. So lernen wir nicht nur den Zeitzeichner, sondern auch den Autor kennen. Wir lernen, dass er als Kind bei seiner Oma in Potsdam-Babelsberg übernachtete, dass er die DEWAG-Kinomaler in Berlin bewunderte und dass sein Ausbildungsbetrieb sich an der Jannowitzbrücke befand.

14
Die Künstler, die Atak vorstellt, sucht er selbst aus. Da lässt er sich kaum reinreden. Diese monatliche Arbeit wäre wahrscheinlich auch nicht zu leisten, wenn sie nicht aus einem selbst erteilten Auftrag käme. Es ist wirklich erschütternd, wie viele Zeichner Georg kennt. Oft, wenn ich über eine Neuentdeckung glücklich war, bekam ich mit, dass er mit dem neuen Bekannten schon lange vertraut war. Hatte ich durch Zufall David Shrigley oder Ben Katchor für mich entdeckt, sah ich mit Verblüffung, dass Georg schon ihr Porträt gezeichnet hatte. Ich glaubte lange, dass ich ganz gut im Bilde bin, aber spätestens seit ich Georg kenne, weiß ich, dass ich da nicht mehr mitkomme.

15
In Georgs Arbeitszimmer steht ein unscheinbares braunes Regal. Es ist ein Sesam-öffne-dich. Du kannst hineingreifen, wo du willst, es gibt immer Überraschungen. Ich greife natürlich nicht in fremde Regale. Das macht Georg selbst. Er nimmt einen leuchtenden Schatz in die Hand und brummt Unverständliches, was sich offensichtlich auf das Buch bezieht. Ich ahne, dass er fast tonlos Namen und Titel und Hintergründe benennt, die ich noch nicht kannte. Wenn ich dann, Kenntnis heuchelnd, nicke, wird er den Namen nicht mehr sagen und ich bin dazu verdammt, weiterhin blöd zu bleiben. Also überwinde ich meinen Stolz und frage tapfer: »Noch nie gehört – Wer ist das?« Am Anfang kostet das Überwindung. Aber dann wirst du belohnt, denn dann erzählt Georg ausführlich die notwendige Geschichte zu dem mir eben noch unbekannten Zeichner, in welchem Antiquariat in Stockholm er fündig wurde, aus welchen Quellen sich der Künstler bedient, woher er kommt, wohin er jetzt geht. Oder er erzählt, wie er diesen und jenen und bei welcher Gelegenheit in Helsinki oder Brüssel getroffen hat. Du musst fragen. Dann erzählt er mit leuchtendem Gesicht schöne Geschichten, die immer auch mit ihm zu tun haben. Von Georg habe ich zum ersten Mal etwas von der wundervollen und tragischen Ingrid Vang Nymann oder von Jockum Nordstrøm, dem großen
Zauberer gehört. Und wie froh war ich immer, wenn sich herausstellte, dass wir beide die gleichen Künstler verehren. So geschah es zum Beispiel mit Egon Matthiesen, Hannes Hegen, Hans Ticha, Heino Jäger und noch so einigen.

16
Einer unter den hier gezeigten ist Armin Abmeier, der im Sommer 2012 seine Lebensreise vollendet hat. Er ist, soweit ich das überblicke, der einzige, der nicht als Zeichner hervorgetreten ist und dem dennoch die Ehre zuteil wird, in den Kreis der Zeitzeichner treten zu dürfen. Abmeier hat so viel und so viel Gutes für die Zeitzeichnerei getan, dass Georg hier das Prinzip der Auswahl scheinbar durchbrochen hat. Abmeier war ein großer Liebender und seine Edition der »Tollen Hefte« gab vielen Zeitzeichnern eine großartige Bühne für glänzende Auftritte. In kunstfeindlichen Zeiten sind Menschen wie Abmeier unglaublich kostbar und unersetzlich. Wenn die gehen, wird es für eine Weile ganz schön dunkel. Georg gibt seiner Würdigung von Abmeiers Person und Werk den schönen Titel »Eine Verbeugung«.

17
Bevor ich schließe, muss ich eine Frage, die sich mit Macht aufdrängt doch noch stellen: Warum macht der Mann das? Warum setzt er sich dieser immensen Arbeit aus? Ist es nicht vergebliches Tun? Während er sich daran abarbeitet, die Zeichner der Zeit aufzulisten, werden schon wieder neue geboren. Andere, auf die wir unsere ganze Hoffnung setzten, bringen nicht die Kraft auf, einen Bleistift anzuspitzen.

18
Georg Barber hat den Schlüssel zu dieser Frage selbst geliefert. Aus den »32 Stufen zum Erfolg« spricht der Philosoph. Die 8. Stufe lautet so kompliziert wie einfach: »In einer Welt voller Geheimnis ist nichts einfach.«

19
Der Mann, der Monat um Monat die Liste der Zeitzeichner komplettiert, verkörpert die klassische Doppelnatur des Künstlers. Ihm ist nicht zu helfen. Er ist Kind und Mann in einem. Das Kind spielt und zeichnet nimmermüde und unerschrocken. Es kennt nicht die Kontroll- und Abbruchstrategien des Verstandes. Der Mann wird das Kind um alles in der Welt beschützen und spielen lassen. Er organisiert das Drumherum: Gesellschaft, Geld, Familie, Welt. Und drinnen ist das Kind. Es spielt und malt. Und malt und spielt. Dieses Bündnis ist ein ungeheurer Kraftquell. Ohne dieses Bündnis – so vermute ich – ist das, was wir hier sehen, nicht möglich.

20
Ataks »32 Stufen zum Erfolg« liegen immer griffbereit in meiner Nähe. Die 10. Stufe lautet: »Umgebe dich nur mit dem, was du wirklich brauchst und liebst.«Abgesehen, davon, dass dieser Satz mich zur Zeit – ich ziehe gerade um – sehr beschäftigt, hoffe ich inbrünstig, dass der kosmische Kundschafter diesen Satz auch versteht. Wenn er sich den zu eigen macht, bleibt uns eine galaktische Invasion womöglich erspart. Und das hätten wir dann Atak zu verdanken.

Laudatio zur Eröffnung der Ausstellung ATAKS ZEITZEICHNER am 29. Mai 2013 im Kunstverein Frankfurt/Oder

weiterlesen