Franz ZauleckZaulex.de

28. August 2013: Gabriele (Gabi) Gärtner ist gestorben

Am 28. August ist Gabi Gärtner im Alter von 59 Jahren in Berlin gestorben. Sie war mir eine gute Freundin. Sie war eine großartige Künstlerin, die über ihren Tod hinaus immer noch ein Geheimtipp bleiben wird. Ihre feinen Zeichnungen und spontan-robusten Bilder zeugen von einer Frau, die ein ganzes Leben allen Widrigkeiten trotzend ihren Kern zu schützen wusste. Ich werde sie nicht vergessen.

Am 2. Oktober 2013 habe ich für Gabi in der Galerie "Zimmer 16" in der Pankower Florastraße eine kleine Abschiedsrede vorgetragen:

Die Vorstellung, dass die Seele den todkranken Körper im Sterben verlässt, ist ein tröstliches Bild. Die Seele sehen wir immer aufsteigen. Sie stürzt nie herab.
Wenn wir mit der Seele reden, dürfen wir den Kopf oben behalten. Das ist ein Trost.
Liebe Gabi, ich denke noch an den Pfingstmontag. Es war der 20. Mai 2013. Es ist knapp vier Monate her. Du kamst mit dem Fahrrad ins Laurus, unsere italienische Stammkneipe, gefahren. Bis zum 28. August blieben noch drei Monate. Du trugst deine schöne rote Kappe mit königlicher Würde, so wie ein tapferes Rotkäppchen es eben tut. Das zyklische Treffen der gestrandeten Grafiker wolltest du dir nicht entgehen lassen. Die italienischen Kellner sagten zu den alt gewordenen Knaben Gerhard, Thomas und Franz »Professore, Dottore und Capitano«. Das hat dich immer amüsiert. Ich staunte nicht schlecht über deine Kräfte, weil ich ja wusste, welche Operationen, Therapien und Bestrahlungen du seit Januar ausgehalten hattest.
Die alten Knaben waren auf eine merkwürdige Weise erleichtert, weil sich der Abend fast anfühlte wie jedes Mal. Obwohl du wusstest, welche Prüfungen Dir noch bevorstanden, hast du über die munteren Reden der Jungs vielleicht nicht mehr so kräftig, aber doch noch freundlich gelacht. Weil Du tapfer und freundlich warst, hast du der Trauer die schon an diesem Abend über dem Ganzen lag, nicht die Herrschaft überlassen. Als die Rede auf gewesene und geplante Ausstellungen kam, hast du mich plötzlich angesehen und unvermittelt und überraschend gesagt: »Franz, du musst meine nächste Ausstellung eröffnen. Unbedingt!« Was konnte ich anderes sagen, als: »Ja, unbedingt!« Deine Bitte hat mich geehrt und gefreut und zugleich bestürzt. Man musste kein Hellseher sein, um zu ahnen, dass die Chancen für eine solche Ausstellung nicht unbedingt die besten waren. Nun wird es diese Ausstellung so nicht geben. Nicht mit dir geben. Weil du eine wunderbare Künstlerin warst, sollten wir ernsthaft überlegen, ob wir den Rest der Menschheit nicht unbedingt in das Geheimnis deiner Arbeiten einweihen müssen.
Liebe Gabi, du hast mir vor einem Jahr eine schöne Zeichnung zum Geburtstag geschenkt, die ich mir in den letzten Wochen immer wieder ansehen musste. Aus Spiralen und bewegten Gittern bilden sich Kraftfelder und merkwürdige Figuren. Ich sehe einen Tisch mit Obst und Wein. Ein Pferd, ein Schwein und unter dem Tisch zwei rätselhafte Teetassen. Und vor dem Tisch steht eine spiralig geschriebene Figur, wie von Oskar Schlemmer gezeichnet, die durch einen schwarzen Trichter aus dem Bild herausschaut. Erst nachdem du gestorben warst, habe ich gesehen, dass diese Figur einen kleinen Pferdeschwanz trägt. Einen Pferdeschwanz, wie du ihn immer hattest, bevor du ihn der Chemotherapie opfern musstest. Und links neben der, durch den Trichter blickenden Figur, steht eine ganz leicht gezeichnete Figur, auch sie hat einen Pferdeschwanz. Sie winkt mit ihrem spiraligen Arm dem Pferd zu.
Ach, Gabi, warum sehen wir die Zeichen immer erst hinterher? Du hast mir das Bild geschenkt. Es waren Gäste da. Mit Kennerblick habe ich gesehen, dass das eine schöne Zeichnung ist. Ich habe mich sehr über das Blatt gefreut. Aber dass dieses Bild über seine Schönheit hinaus Botschaften aussandte, habe ich erst hinterher gesehen.
Gabi, du hast gern gelebt, manchmal musstest du um dein Leben sehr kämpfen. Als alle Schlachten geschlagen waren und du ganz bei dir und immer selbstbewusster geworden warst und als das Gleichgewicht zwischen Leben und Arbeiten endlich gefunden war, betrat der Tod den Raum.
Vielleicht gibt es keinen Gott. Jeder ist sich auf seine Weise sicher. Aber es gibt ein Gesetz. Ich bin noch nicht dahinter gekommen, was es mit uns vorhat und warum es gerade dich, die Sanfte und Begabte, so gnadenlos zur Zeugin aufgerufen hat.
Liebe Gabi, wenn wir dich nicht vergessen, bist du noch da. Als Seele, als Kraft, als Bild. Ich hoffe, es geht dir gut da irgendwo oben. Sehr gut.

weiterlesen