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September 2013: Hans-Dieter Schütt im 211. Heft der "Marginalien" (3.2013) Schnipseljagd “Papier. Korb. Zeit." Die Neue Berliner Papierkorbzeitung” des Franz Zauleck

Die Feststellung, Zeitungen dienten zum Einwickeln, bezieht sich meist fälschlicherweise auf deren Verwendungsmöglichkeit nach dem Gebrauch. Einwickeln – das meint aber doch weit mehr jenen Zweck, warum Zeitungen überhaupt produziert werden.
Und obwohl also, um diese Tagesblätter zu erklären oder zu rechtfertigen, nichts weniger am Platze wäre als klassisches Gedankengut, darf trotzdem Goethe zum Zitat kommen: “Der Zeitungsschreiber selbst ist wirklich zu beklagen,/ Gar öfters weiß er nichts, und oft darf er nichts sagen.” Das ist Wahrheit und Fazit, einen Beruf betreffend, der Virtuosen der Vergeblichkeit heranbildet: Denn Journalisten verwenden zwar einen Wortschatz, verlassen aber kaum die genuine und gelernte Einsilbigkeit. Der Blick in den sogenannten Pressespiegel freilich entlastet das Volk der Redakteure auch: Denn jede Zeitung darf leider nur immer so klug sein, wie ihre Leser gestatten. Ein Elend.
Der Grafiker, Bühnenbildner, Kostümerfinder, Illustrator, Kinderbuchautor, Hörspieldichter und Kunstlehrer Franz Zauleck, ein Berliner also von universaler Versuchslust, zudem so heiter wie scheu - er hat sich in die bewegte, bedrippte, bedrohte deutsche Zeitungslandschaft geworfen: Von Dezember 2010 bis Februar 2013 schuf er 300 wahrlich ein-seitige Ausgaben seiner “Neuen Berliner Papierkorbzeitung” (NBPKZ), versandte sie per mail an tolldreist aufgelegte Abonnenten, die schon mal was von Heartfield, von Dada und Expressionismus, von Simplicissimus und Joseph Beuys gehört haben. Oder von keinem davon, dann ist eben Zauleck ein Erwecker gewesen, wie es Johann Karolus war, der 1605 in Straßburg das erste periodische Blatt, die “Relation”, herausgab, oder wie die Macher der “Einkommenden Zeitung”, die 1650 in Leipzig die erste Tageszeitung Deutschlands produzierten. Die Kunst in der Zeitung, die Zeitung als Kunst - Zauleck stiftete solch sinnigen Sinn. Zeitungsgründung in Zeiten der Zeitungskrise: Utopie konkret.
Ein Katalog zum Blatt-Werk ist erschienen und offenbart Zauleck als einen Collagisten im Geiste Tucholskys. Er ist ein Pfiffikus des politischen Witzes, den jeder studieren sollte, der kritischen Geist mit intelligenter Schärfe und drastischer Deutlichkeit verbindet. Alte Fotos und Postalien, Reklamezettel und Illustrierten-Reste, Comicbilder und aktuelle Meldungen - Zauleck inszenierte Zeitung als Bilderbogen des Grotesken, Dämonischen, Absurden in Politik und Gesellschaft; dreihundertmal Satire mit Biss. Und jede Ausgabe eine staunenswerte Auskunft über die Sammel- und Archivierungskunst dieses Zeitungsmachers – der zu jeder spottfördernden Gelegenheit das passender grafische Belegstück besitzt.
Dichter Jürgen Rennert schrieb ein klug-keckes Vorwort, “Von der Vollkommenheit des Fragments oder Vom Liebreiz der Anarchie”. Franz Z. erinnert ihn an Franz P. – an Franz Pfemfert, “Einzelkämpfer wie Zauleck”, der von 1911 bis 1918 “Die Aktion” herausgab, eine Wochenschrift mit berühmten Autoren wie Benjamin und Toller, Becher und Werfel. Eine der Kolumnen im Heft hieß “Ich schneide die Zeit aus”. Genau dies war die Arbeit Zaulecks, der seine Zeitung “Offizielles Mitteilungsblatt des Vereins der Berliner Papierschnipselfreunde (Online-Ausgabe)” nannte. Papierschnipsel, so Rennert, hier definiert auch als “das Heraus- und Zugeschnittene zeitlich nahe oder entfernt liegender, abgefallener und abgetaner und letztlich wieder aufgeklaubter Schnipsel der Zeitgeschichte”.
Zur Eröffnung einer NBPKZ-Ausstellung in Berlin-Treptow hatte Rennert über jenes “Aufblitzen” gesprochen, das ihm Zaulecks Zeitung jedes Mal bereitet habe. Auskunft eines begeisterten Zeitungslesers, eines Blätterfressers bis zum späten Vormittag - “bis mir am Mittag dann aller Appetit auf weitere Unterrichtung und konzertierte Desinformation vergangen ist. Denn die vermeintliche Meinungsvielfalt der gutbürgerlichen deutschen Medien gipfelt zumeist in einer nur geringfügig veränderten Syntax der Vermeldungen und der noblen Verhaltenheit respektive dreisten Schwärze ihrer Titelzeilen”.
James Joyce nannte Zeitungslektüre “Graubrot des Alltags”. Ein Grundnahrungsmittel also. Das aber ungenießbar wird, wenn Grauhirne daran backen. Was Zauleck leistete, darf als geradezu mystischer Prozess betrachtet werden, an dessen Ende “Graubrot” jedes Mal in viel weniger verwesliche Substanz überführt wurde: in Kunst. Herrlich: Wie fremde, wilde Wetter fielen hier regelmäßig Form und Farben über die gelähmte Szene des landläufig Medialen.
Der Papierkorb: mythisches Möbel. Das Archiv, in dem alles Scheitern sein Materialgrab findet. “Der Papierkorb ist ein finsterer Wartesaal”, schreibt Zauleck im Katalog, darin fristen Teilchen ihr Dasein, warten auf Erlösung im neuen, überraschenden Zusammenhang, den allerdings nur Phantasten wie dieser Künstler zu schaffen in der Lage sind. Der Papierkorb als Endstation - und doch auch Geburtsort. Das an bebildertem, beschriftetem Papier Weggeworfene als - das Aufgerufene. Stirb, alte Druck-Sache - und werd eine neue. “Beim Graben im Korb begegnen uns alte Bekannte, aus denen sich etwas machen lässt. Das wäre Liebe”. Wie singt ein altes Volkslied? Es ist ein Schnitter, heißt ... der Zauleck. Der schneidet wahrlich gut der Zeit ins fade Fleisch, der gibt uns den Rest anderweitig gestalteter Blätter von früher oder jetzt, indem er uns die Reste verwandelt zurück gibt als Kommentar zur abstrusen Gegenwart. “Der Anlaut, das Bruchstück, der Schatten, die halbe Geste erregen unseren assoziativen Apparat intensiver als das Ausgesprochene und Vollendete.”
Man nehme eine großformatige Zeitung, schlage sie auf mit beiden Händen, schon ist der freie Blick in die Welt versperrt. Mit Zaulecks Zeitung konnte man so nicht verfahren, sie erschien “nur” online, ist Werk eines ansonsten hartnäckigen On-Laien. Der Papierkorb war in diesem Falle der tiefe Computerschlund, und das machte diese Zeitung so lebensnah – denn wir alle leben in der Nähe der Löschtaste.
P.S.: Nochmal zur Löschtaste: Stimmt nicht wirklich, diese Behauptung, Zaulecks Werk habe sich durch dessen Online-Existenz erledigt (ohne Lüge kommt man in der Nähe von Zeitungen eben einfach nicht aus!). Denn unter papierkorbzeitung.tumblr.com ist natürlich alles nachlesbar. Und: FZ macht weiter! Seit Monaten erscheint “Kuckuck - Berlinische Fragmente zum praktischen Verständnis der real existierenden kulturellen Verwirrung” (kuckuckuck. tumblr.com). Zauleck keltert also weiterhin aus Schlagzeilen, die der Welt tageszeitungstäglich hinterherhecheln, seine Schlaglichter, die diese Welt vorführen. Am Nasenring der satirischen Heiterkeit. Die den Passionsweg in die bitteren Erkenntnisse der Existenz leichter macht. Für jenen immer wieder beglückenden Moment, der die Höhenflüge der Zeitungswahrheit bloßstellt: Sie sind die reine Eintagsfliegerei. Baldigst also, so Zaulecks Devise, auf ein neues – Altes!

Katalog: “Papier. Korb. Zeit.” Die Neue Berliner Papierkorbzeitung. Versuch einer Inventur von Franz Zauleck. Vorwort von Jürgen Rennert. Kreisel Verlag Güstrow, 12,50 Euro, ISBN 978-3-910145-26-9 (zaulex@gmx.de).

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