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18. November 2015: Gerhard Oschatz: "Franz Zauleck hat es geschafft" – Worte zur Eröffnung der Ausstellung "punktpunktkommastrich" in der Berliner Galerie 100

Franz Zauleck hat es geschafft
Im Juni dieses Jahres fuhr ich zusammen mit Thomas Hofmann zu unserem Freund Franz Zauleck in die Prignitz. Aus dem Prenzlauer Berg kommend, wo späte Mütter ihre Kinderwägen schieben, wo man Natur im Bioladen kauft und man inzwischen englisch spricht, landeten wir in einer völlig anderen Welt: Stille, Felder und Wälder, so weit das Auge reicht. Vorsichtig setzte ich meinen Fuß ins Gras.
Franz stand vor seinem Hof mit dem Strohhut auf dem Kopf und einer Flasche Bier in der Hand. Er begrüßte uns mit großer Freude. Wir umarmten einander. „Endlich hast du es geschafft“, rief ich, denn Franz wurde an diesem Tag 65. „Früher hat man sich ja aufs Rentenalter freuen können“, setzte ich noch hinzu, „da durfte man nach drüben fahren.“ „Heute ist es aber auch nicht schlecht“, meinte Franz und freute sich über die Geschenke. Die Sonne lachte, auf der Wiese leuchteten die weißen Scheitel seiner Gäste, drei Hunde tobten um die Wette, es gab tolles Essen und reichlich zu trinken. Was für ein wunderschöner Tag!
Mit 65 darf man schon mal zurückblicken. In diesem Fall, in dieser Ausstellung, lohnt es sich sogar. Ich kenne Franz Zauleck schon lange – ich glaube fast 35 Jahre. Wir gehörten damals zu der großen Familie des Berliner Künstlerverbandes. Ab und zu trafen wir uns auf den Fluren des Fernsehfunks oder in den Räumen des Berliner Verlages. Er war mir von Anfang an sympathisch. Ich schätzte seine elegante intelligente Grafik. Seine Kinderbücher kannte ich noch nicht, schließlich war ich doch schon groß und zudem kinderlos. Für mich gehörte er in der Riege der eigenwilligen Illustratoren jedenfalls zu den besten. Eigentlich war er ja Bühnenbildner. Nach acht Jahren hat er das Deutsche Theater verlassen, die kollektive Arbeit an dem festen Haus. „Ich hatte so ein perlmutternes Gefühl“, sagte er einmal, „ich wollte mich fortan selbst bestimmen, um herauszukriegen, was ich kann.“ Er arbeitete nun frei und losgelöst am eigenen Marterholze, daheim an seinem Zeichentisch. Es war kein Kaltstart. Er hatte ja in Weißensee studiert und als gelernter Vater bereits 1983 sein erstes Kinderbuch herausgebracht: „Lucie & Karl-Heinz“. Schon da zeigte sich seine Klasse. Vor allem die Mitgift des Theaters hat ihn auch später stets begleitet, der hohe kulturelle Anspruch, das Wissen um Spiel und Sprache und um die illusteren Effekte.
Konvertiten sind fleißige Leute und eignen sich schnell Neues an. Er hatte keine vorbildhaften Lehrer und gleich zu seinem Stil gefunden. Er verfasste in den folgenden Jahren nun mehrere Kinderbücher, illustrierte andere Autoren, machte Fernsehgrafik und arbeitete für Zeitschriften, zum Beispiel für das „Magazin“. Das hätte alles fröhlich so weitergehen können. Aber 1990, mit der „Wende“, dem Anschluss, war Schluss mit lustig. Die DDR war mausetot, die geschützte Werkstatt war verschwunden und alles war mit Geld verbunden. Der Osten wurde frisch gestrichen. Die feinen Farben der Kultur, die den Rauputz der morbiden Gesellschaft ehemals schmückten, waren kaum noch zu erkennen. Die Verlage banden sich die Krämerschürze um. Die Aufträge versiegten. Wir fielen ins Startloch. Er hatte damals das Gefühl, er wäre verschwunden. Auch die neuen Auftraggeber aus dem Westen hatten noch nie etwas von ihm gehört. Verstört schauten sie in seine Mappen. In Braunschweig versuchte ein Verleger Zaulecks Arbeit auf den Punkt zu bringen. Er sagte nur ein Wort: „Bauhaus.“ Franz standen seine damaligen Haare zu Berge und auf der Heimfahrt verlor er auch noch den Auspuff.
Schwere Zeiten. Es war zum Verzweifeln. Doch er hatte eine junge Familie und brauchte Geld. Also kämpfte er sich tapfer in die neue Zeit. Mit Erfolg! Franz Zaulecks Werk hat mit den Jahren, es hat der Meister selbst beträchtlich zugenommen. Die alte Schiebermütze hängt am Haken, er trägt jetzt Hut. Den Stift fasst er nun fester und mit Photoshop bewegt er eingescanntes Material. Die Form ist kräftiger geworden. Er schreibt wieder Kinderbücher, Puppenstücke und Hörspiele, die in hervorragender Besetzung gesendet werden, er macht Plakate und arbeitet als Ausstatter für das Theater, neuerdings auch für die Puppenbühne. Als treuer Groupie habe ich einige seiner Premieren selbst gesehen. Zum Beispiel „Alice Adventures in Underground“ in Erfurt unter der Regie von Bernd Weißig: Das war tatsächlich very underground und very, very good.
Franz Zauleck ist ein Universalist – unglaublich, was er alles schafft. Aus der Mitte seiner Begabung und mit seiner praktischen Kraft hat er alle Felder seines Tuns gleichermaßen hervorragend bestellt. Nie hat er sich dabei verzettelt. Die Bilder, seine Bücher, auch die Bühne, alles trägt die Kennung seiner Hand. Die Poesie der Wechselworte prägt sein Hörspiel ebenso wie die Geschichten. Es geht zumeist um die Verzwicktheit des Lebens. Mit sehr viel Witz und manchmal ein wenig melancholisch erzählt er vom Kreuz und Quer der Existenz und wie man damit fertig wird.
„Wir haben immer noch die kurzen Hosen an“, sagte er neulich. – Erschrocken schaute ich auf meine Jeans. – „Der Künstler hat die Pflicht, die Kindheit zu verlängern.“ Der große Franz hat wirklich tolle Kinderbücher gemacht, so zum Beispiel die, die bei Klett in Leipzig in deren pädagogischem Programm erschienen sind: „Die Sofakisseninsel“ und „Der Zwölfminutenwald“. Sie enthalten kleine Fabeln, die die Kinder etwas lehren, ohne etwas zu erklären und dabei ihre Leser phantastisch unterhalten. Ich liebe die „Sofakisseninsel“. Auf ihrem Polster ist mächtig was los! Es knöselt und kracht! Es ist, als wäre eine Spielzeugkiste ausgeschüttet worden, und alle, selbst die sonderbarsten Figuren, kämen miteinander ins Gespräch: Winkelbeine, Tüten, Lokomotiven und Matrosen. Manchmal geht es gut, aber oft redet man aneinander vorbei. Es ist wie im richtigen Leben: hier herrscht das absurde Prinzip. So verrückt das Geschehen, so spannend ist es illustriert. Die Schönheit kommt aus den Kontrasten, Zeichnung mischt sich mit Zitaten, Seite für Seite ist eine Pracht! Beifall für seine Bücher bekommt Franz Zauleck nicht allein von seinen Lesern, so wurde er für „Olga mit dem Gummipropeller“ und für das Märchen „Prinzessin Eierkuchen“ zweimal in Österreich für die Verdienste um das Kinderbuch geehrt.
„Eigentlich bist Du ein altmodischer Mensch“, stellte ich einmal fest. „Stimmt“, meinte Franz, „aber kein Nazarener“, grenzte er sich vorsichtshalber ab. Tatsächlich greift er gern in die Schatzkästlein und die Rumpelkammern des 19. Jahrhunderts, besonders der Spätromantik, dem letzen Halt vor der Moderne. Er bezieht sich dabei weniger auf die Idyllen, als auf die Märchen und auf das Leben unter den Zipfelmützen. Er ist beileibe kein Traditionalist. Er ist von heute. Er sieht sich eher als Bewahrer fast vergessener Werte, die noch immer gültig sind. Seine Wahlverwandten stehen in den Regalen – auf ihren Rücken kann man lesen, wer sie sind: Wilhelm Busch, der Struwwelpeter, der gute Andersen und Lewis Caroll. Sie stehen neben den jüngeren Paten vom hochverehrten Steinberg bis hin zum düsteren Topor.
Franz Zauleck hat ein fröhliches Herz, es sitzt links und unter seinem Hut sitzt immer sprungbereit ein scharfsinniger Kopf. Mit ihm ist gut lachen und krummes Denken lässt sich prima mit ihm üben. Da schnipsen die Synapsen! Wenn wir im Zug zum Unterricht nach Anklam fuhren, war das immer ein großes Vergnügen! Hätte man uns zugehört, manchen braven Landmann hätte das Gefühl beschlichen, dass da zwei Verrückte sitzen. Wir waren ja im Osten sehr erfahren im subversiven Humor, zwischen dem Selbstlob der Gesellschaft und der Suche nach Filtertüten. Das hat sich nicht verloren.
Der Welt geht es heute auch nicht gut. Sie ist erhitzt, der Meeresspiegel steigt, das Krummschwert droht, die Menschen flüchten in Strömen. Als ultimativer Moderator aller Konflikte gründet Franz Zauleck 2010 seine Internetpostille, die sensationelle „Papierkorbzeitung“ und den „Kuckuck!“ drei Jahre danach. Kitschpostkarten, alte Label, ganz triviale Artefakte schliefen lange in den Ordnern bis Franz Zauleck sie erweckte. Geübt in Mailart-Grüßen und in die Luft gespuckte Apercus verknüpfte er die Funde gewitzt mit Tagesaktualitäten oder dem Zickzack der Geschichte zu haarsträubenden Pointen. Wie soll man das nennen? Roter Humor auf schwarzem Grund? Dada im Lichte der Aufklärung? Ich weiß es eigentlich nicht so genau, auch für den süßen Schmerz des Kalauers war er sich nicht zu schade. Als der letzte „Kuckuck“ zurück ins Nest ging, war der Jammer im Verteiler riesengroß. Was des Nachts bei zwei Glas Rotwein begann, hat sich in diesem Jahr nach 500 Ausgaben zu einem beachtlichen Satire-Werk geschlossen.
Manchmal vergeht auch Franz das Lachen, dann kuckt die Eule zwar noch in den gleichen Spiegel, aber anders heraus, wohl mit mehr Ernst und Schärfe. Wenn es ihm zu bunt wird, taucht er den Pinsel in Schwarz! Wie vom großen Niklas aus dem Tintenfass gezogen, entstehen die Figuren fast von selbst. Ihrem Schöpfer in der Größe ähnlich, sind diese Hominiden leicht gebeugt, sie sind erfahren. Die Fahne der Hoffnung ist eingerollt, das Licht kommt von hinten. In einem Falle hängen Hammer und Sichel, die sich ehemals kreuzten, dem Kapital zu wehren, schwer an ihren Händen. Franz Zauleck zeichnet ganze Ketten von Motiven: Finsterlinge, Harlekine, Stalinisten und Chimären. Druckpapiere und Gesichte, ausgeschnitten aus der Kunstgeschichte und heutigen Journalen, verbinden sich dabei oft mit seinem Pinselstrich. Die Akteure dieser Szenerien schweigen stille, sie sind nicht im Dienst, nur die Sprache ihrer Körper verrät uns, wie es um sie steht. Vieles, was wir heute sehen, seine schönen Zeichnungen, die Collagen und Brennholzmasken sind nicht so nebenbei entstanden. Im Gegenteil! Sie sind Ausdruck der freien tätigen Bewegung Franz Zaulecks. In seinem freien Schaffen entstehen viele Formen und Ideen, die sich am Ende in seiner angewandten Arbeit wiederfinden. So bleibt er bei sich, auch im Auftrag, und kann auch da Wesentliches von sich selbst aussagen. Diese anspruchsvolle künstlerische Haltung bestimmt die besondere Eigenart all seiner Projekte und sie bleibt die unbedingte Voraussetzung für alles, was er noch in Zukunft leisten wird.
Der Geburtstag war vorüber. Noch gezeichnet von der langen Feier verabschiedeten wir uns dann am nächsten Mittag von unserem Freund. „Grüßt mir Berlin“, seufzte Franz, denn er wohnt jetzt ständig auf dem Land. Noch mal umarmten wir einander, stiegen ins Auto und fuhren davon. Lange winkte Franz uns noch mit seinem Strohhut hinterher. Unterwegs sagte ich zu Thomas Hofmann: „Thomas“, sagte ich, „Franz hat es wirklich geschafft. – Eine große Arbeit und ein gutes Leben.“

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