Franz ZauleckZaulex.de

20. Oktober 2016: Hans-Eberhard Ernst eröffnet die Ausstellung »Katzen und Katzen und anderes Getier« in der Kulturküche Bohnsdorf

(...) Geht nicht nach Bohnsdorf! warnte uns der Vater.
Bohnsdorf und Altglienicke, wo ich zuhause bin, trennten damals nur wogende Kornfelder und die einstige Bohnsdorfer Skyline mit Solles Bockwindmühle war die Horizontlinie unserer Kindheit, zu der auch Katzen, Hühner und Kaninchen gehörten.
Geht nicht nach Bohnsdorf! hatte der Vater uns gemahnt.
Aber ich ging doch, allerdings schwer bewaffnet mit einem ungeladenen Karabiner aus dem ersten Weltkrieg und einer Räuberpistole aus der Zeit des Alten Fritzen. Es war Krieg und wir spielten Krieg. Ich geriet in einen Hinterhalt der gefürchteten Effenberger-Klicke, die mich gefangen nahm, an einen Gartenzaun band und von einem Mädchen bewachen ließ. Nie mehr ungeladen nach Bohnsdorf!
Geht nicht nach Bohnsdorf! hatte der Vater gedroht, da wohnen nur Verbrecher und Kommunisten! Man kann ihm zugute halten, dass er zwischen Kommunisten und Verbrechern einen Unterschied machte, was damals nicht üblich war. Er war Polizist, Kriminalbeamter, Bohnsdorf gehörte zu seinem Revier und die Bohnsdorfer machten ihm zu schaffen durch Hühnerdiebstahl und Kaninchenklau. Womit wir dem heutigen Thema schon ein Stück näher kommen, der hemmungslosen, grenzüberschreitenden Tierliebe der Bohnsdorfer. Ich hoffe, die Exponate sind gut versichert.
Und so zögerte ich nicht, trotz der einst mahnenden Vaterworte, zur Eröffnung dieser Ausstellung wiederum nach Bohnsdorf zu kommen, diesmal geladen, aber nicht bewaffnet, um wie gewünscht, ein paar ernste, tierisch ernste Worte zu verlieren, damit Sie dieses Ereignis nicht auf die allzu heitere Schulter nehmen.
Die Ausstellung »Katzen und Katzen und anderes Getier« lässt nämlich in gewisser Weise auf höherem Niveau eine alte jahrzehntelange Tradition aus dem »Bohnsdorfer Volkshaus« wieder aufleben, die äußerst beliebte alljährliche »Kleintierschau«. Auf Rassegeflügel hat man heute weitgehend verzichtet wegen der Rassendiskriminierung, Massentierhaltung und mit Rücksicht auf die Veganer.
Doch zunächst zu den Ausstellern.
Regine Röder kam einst aus dem fernen Askanien nach Berlin, aus dem schon weit vor ihrer Zeit der mächtige Tierfreund Albrecht der Bär ins Branden-burgische aufbrach, um sich neuen Lebensraum in diesen Breiten zu erschließen. Ascania ist nichts anderes als das latinisierte Aschersleben.
Eigentlich wollte Regine in Leipzig Journalistik studieren, aber es war gerade DDR und da bevorzugte man Arbeiter- und Bauernkinder und ihr Papa war Studienrat. Mit künstlerischen Talenten reich ausgestattet ging sie nach Berlin-Ober-schöneweide zum Studium an die Fachschule für angewandte Kunst.
Walter Ulbricht hatte gerade das Neue Ökonomische System (NÖS) erfunden, ihm fehlten nur die Ökonomen. So ließ man die jungen Mal- und Zeichentalente die Kunst der Ökonomie studieren, der Werbeökonomie. Keine staatliche Willkür, nur die Anwendung des Neuen Systems der Planung und Leitung der Planwirtschaft.
Was lernte die angehende Werbeökonomin Regine nun während ihrer dreijährigen Studienzeit? Sie lernte den angehenden Werbeökonomen Klaus kennen und es ist noch nicht bekannt, wer da um wen werben musste und wie ökonomisch das zuging.
Statt Werbeökonom wurde Klaus Ensikat ein bekannter Zeichner und hervor-ragender Illustrator und es war nur eine Frage der Zeit, bis seine alsbaldige Ehefrau Regine und Mutter zweier gemeinsamer Kinder nicht nur für »Bummi« und »Frösi« zeichnete, sondern sich seinem Arbeitsgebiet und Aufgabenfeld näherte und ebenfalls Kinderbücher illustrierte.
Wir begegneten uns, als Regine Röder-Ensikat sich im Verband Bildender Künstler um die Mitgliedschaft bewarb. Sie brachte ein ganzes Rudel Katzen mit, gemalt und gerahmt. Die Jury, Gralshüter der Gebrauchsgrafik, die selbstverständlich gebrauchsgrafische Arbeiten erwartet hatte, sah in viele Katzenaugen und stutzte. Ich entwaffnete mögliche Bedenkenträger mit dem Hinweis: Wer neben einem derart exzellenten Grafiker in der Familie mit seinen Arbeiten bestehen und sich behaupten kann, hätte doch wohl unser aller Achtung verdient. Widerspruchslos wurde sie in den elitären Kreis der Alltagskünstler aufgenommen und blieb ihren Katzen bis heute treu.
Zu jener Zeit hatte Franz Zauleck sein Studium an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee abgeschlossen und war Diplom-Bühnen- und Kostümbildner. Er kam nirgendwo her. Er war ein waschechter Berliner aus Pankow.
Was man bei ambitionierten Leuten aus der Provinz immer wieder findet, fehlt dem Berliner, ein gewisser Migrationsdrang nach Berlin. Er braucht ihn nicht, er ist ja schon da. Das äußert sich in einer großen, in sich ruhenden Gelassenheit. Da wo bei den Zugereisten der Ehrgeiz köchelt, sitzt beim Berliner der Witz. Die von auswärts müssen das hier erst lernen. Siehe Zille, Kästner, Ringelnatz oder mein einstiger Altglienicker Nachbar Stengel.
Franz Zauleck erinnert sich, von mir in den Verband Bildender Künstler und in die Sektion Gebrauchsgrafik aufgenommen worden zu sein – und zwar sehr freundlich. Seine grafischen Arbeiten bewunderte ich schon bevor ich ihn kannte.
Im Wendejahr fiel er auf mit zarten, eleganten und intelligenten Zeichnungen der Titelblätter für »Das Magazin«, die jahrzehntelang vom dominanten Meister der heiteren Illustration Werner Klemke gestaltet worden waren. Auch ein Katzenfreund, unvergessen sein »Klemke-Kater«.
Zauleck konnte neben oder nach Klemke bestehen, weil er kein Klemke-Schüler war. Die Klemke-Schüler hatten es oft schwer, sich von ihrem Vorbild zu lösen und eine eigene Handschrift zu finden. Zauleck hatte kaum Vorbilder und war gleich mit einer unverkennbaren Handschrift präsent.
Wir trafen ihn im Wendejahr auf einer Ausstellung des Karikaturisten Frank Leuchte. Gerhard Oschatz war dabei und Klaus Ensikat und man war sich darüber einig, dass ja in der DDR nicht alles gut war. Franz Zauleck meinte damals, ob der Arbeiter- und Bauernstaat das Paradies für die Werktätigen gewesen sei, wüsste er nicht, aber für Maler und Grafiker gewiss. Die freischaffenden Künstler Ost hatten nach dem Beigetretenwordensein gerade all ihre Auftraggeber verloren.
Aber der Reihe nach. Als junger Bühnenbildner fängt man gewöhnlich ganz klein an, bei einem Puppentheater oder Stadttheater, einem Dreispartentheater und wenn er Glück hat, gelangt er zu den großen Bühnen des deutschen Theaters.
Bei Zauleck war alles anders, eigentlich genau umgekehrt. Er begann 1976 direkt nach dem Studium als junger Bühnenbildner am Deutschen Theater in Berlin. Der Regisseur Schönemann hatte ihn geholt.
Acht Jahre lang war er im traditionsreichen Haus in der Schumannstraße tätig, aber nicht zufrieden, deshalb stieg er nach reiflicher Überlegung freiwillig aus und machte lieber Grafik und Kinderbücher und Zeitungen oder Zeitungstitelblätter. Seine »Neue Berliner Papierkorbzeitung« und das nachfolgende Zentralorgan »Kuckuck« zum praktischen Verständnis der real existierenden kulturellen Verwirrung sind uns noch in bester Erinnerung.
Nebenbei war und ist er sich nicht zu schade, Versäumtes nachzuholen und so konnten sich die Puppentheater in Erfurt, Magdeburg, Gera oder Koblenz freuen, wenn er ihnen zauberhafte Bühnenbilder entwarf und sogar Hörspiele und Theaterstücke schrieb, um damit seine zierliche Rente ein bisschen aufzubessern.
Als die Höhe der Miete die Höhe der Rente überstieg, zog auch der Berliner Franz Zauleck raus aufs Land.
Regine Ensikat hat ihn wieder, wenigstens zu diesem Gastspiel, nach Berlin zurück geholt. Sozusagen von hinten durch die Küche in den Spiegelsaal der Bohnsdorfer Kultur-Küche, denn Regine wünschte sich als Spannungsfeld und Spielgefährten für ihre Menagerie Franz Zaulecks Tierwelt.
Allein der Name Franz verpflichtet ja zur Tierliebe: Franciscus, der frühchristliche Veterinär-Heilige, rettete die Lämmer, zähmte die Tauben und predigte den Vögeln. Unser Zauberkünstler Franz hingegen kann da mit ganz anderen Kalibern und Attraktionen aufwarten vom radfahrenden Schmetterling bis zum völlig verrüsselten Elefanten. Sein Getier in der Ausstellung ist zu erkennen durch unschuldig weiße Passepartouts, während Regines Katzen das nächtlich allen Katzen nachgesagte Grau oder das abgrundtiefe, hintergründige Schwarz bevorzugen.
Was beide trotz aller Gegensätze gemeinsam haben, ist eine fast unvorstellbare Vielseitigkeit ihrer künstlerischen, sozialen und literarischen Tätigkeiten. Als Illustratoren waren beide gleich dicke da:
Regine illustrierte das Kinderbuch »Die dicke Tilla« und Franz »Eine kleine Dickmadam«. Ihr erstes Katzenbuch hieß »Meine Katze heißt Herr Schmidt« und der Autor war ihr Schwager, der bekannte Kabarettist Peter Ensikat.
Franzens erstes eignes Buch handelt auch von einer Katze und einem Schwein und heißt »Lucie und Karl-Heinz«. Es wurde übrigens gerade wieder aufgelegt.
»Vor Katzen hab ich keine Angst« verkündet 1989 einer seiner Buchtitel und »Das lustige Katzen ABC« illustrierte er 2003. Für Herrn Pettersons Kater Findus entwarf er zwei Bühnenbilder. Die Hühner vom zweiten Findus hat er mitgebracht.
Regine gehörte zu den Gründern des Kinderliteraturhauses »Les-Art« und leitete 15 Jahre lang das Schülerkabarett »Die Distelchen«. Erstaunlich, dass die Eltern das erlaubten, denn sie gehört, was die Nachfahren der einstigen Bohnsdorfer Kleinkriminellen aufhorchen lassen sollte, zu den »Mörderischen Schwestern«, einer kriminellen Vereinigung von Schriftstellerinnen, die ihre kriminelle Energie in spannungsgeladene Literatur verwandeln. Regines Kriminalgeschichten erschienen unter dem Titel »Vor Witwen wird gewarnt«
Franz leitete im Salzburger Mozarteum einen Workshop mit neun- und zehnjährigen Schulkindern, gründete »Die Lustige Salzburger Mozart Zeitung« und klärte die drängenden Fragen zu Wesen und Gestalt Mozarts: Wie sah Mozart wirklich aus?
2003 wurde er für seine »Olga«, eine Kuh mit Gummipropeller, in die Ehrenliste des Österreichischen Kinder- und Jugendbuchpreises aufgenommen.
Regine wurde Vorstandsmitglied im Kulturring und Vorstandsvorsitzende des Vereins »Kindheit und Jugend« im Märkischen Museum. Da trafen wir sie zuletzt in einer wundervollen Spielzeugausstellung.
Franz erhielt Auszeichnungen und Preise für »Schönste Bücher« und »Beste Plakate« und verdiente sich 1995 nicht eine, sondern »Die goldene Nase« in Rostock. Und der Groß-Mützenauer Bürgermeister ernannte ihn zum Honorar-Konsul von Mecklenburg.
Nun endlich zu den Exponaten: Katzen und Katzen, das heißt doch wohl »sone und solche«.Was wissen wir über Katzen als solche?
Die gewöhnliche Hauskatze, wissenschaftlicher Name: Felis silvestris catus.
Der Silvesterkater ist also etwas ganz Gewöhnliches, Naturgegebenes.
Hauskatzen sind im Durchschnitt etwa 50 Zentimeter lang und 4 Kilogramm schwer mit einer großen Variationsbreite bis zu zirka 8 Kilogramm. Die Länge des Schwanzes beträgt 25 bis 30 Zentimeter. Die Ausnahmen überspringen wir mal, bis auf eine, der bisher schwerste dokumentierte Hauskater war mit 21,3 kg der stark adipöse »Himmy« aus Australien. – Daher stammt vermutlich der Ausruf: Himmy sacra!
Regine Ensikats Katzen sind Mutationen einer höher entwickelten, städtischen Hauskatze, sogenannte Hoch-Hauskatzen, Ensikats wohnen im 14. Stock eines Hochhauses. Der wissenschaftliche Name: Felis reginensis ensicata. Zu deutsch die Ensi-Katze.
Sie ist entschieden leichter und wird wesentlich älter als die gewöhnliche Hauskatze. Einige hier ausgestellte Exemplare haben schon die DDR erlebt und überlebt. Man sieht es ihnen vielleicht an. Eine gewisse Melancholie im Blick deutet die eingeschränkte Freizügigkeit und die zu erwartende Reisefreiheit erst mit dem Erreichen des Rentenalters an.
Während die jüngeren Würfe aus der Jetztzeit schon mobbingresistente Eigenschaften des real existierenden Egoismus durch geschärfte Krallen erkennen lassen und hinter manchem wachsamen Katzenauge eine Lady Macbeth zu lauern scheint. Der Deutungsvielfalt in ihrer fabelhaften Fabelwelt sind keine Grenzen gesetzt. Schauen Sie in diese Augen, solange es noch möglich ist! Die Veganer sind im Vormarsch…
Und wenn Sie ein Weihnachtsgeschenk für Ihre Lieben brauchen?
Diese Tiere sind pflegeleicht, stubenrein, verschonen Ihre Ledersessel und sind hier käuflich zu erwerben. Ebenso einige wenige Original-Viecherchen Franz Zaulecks, sowie seine Bücher.
Dessen zauberhafte Tierwelt finden Sie sonst weder im Tieringer Wald, noch in Tierana oder Tierol, höchstens auf seiner Sofakisseninsel im Zwölfminutenwald. Deshalb fordere ich, die Worte meines Vaters missachtend, alle Tierfreunde auf:
Kommt nach Bohnsdorf! Seht diese einmalige Tierschau zweier poetischer Protagonisten des animalischen Realismus, Regine Röder-Ensikats und Franz Zaulecks The-Best-Of-Bestiarium!

weiterlesen