Franz ZauleckZaulex.de

16. Oktober 2006: "Jede Farbe - Hauptsache schwarz, schwarze Zeichnungen auf weißem Papier" Brechtzentrum Berlin

Rede von Gerhard Oschatz zur Eröffnung der Ausstellung am 16. Oktober

"... Die Hoffnung lag im Weg wie eine Falle./Mein Eigentum, jetzt habt ihrs auf der Kralle./Wann sag ich wieder mein und meine alle." Franz Zauleck ist ein guter Freund und bringt mir immer etwas mit, wenn wir zum Unterricht an einen ungenannten Ort nach Norden fahren. Diesmal war es ein Gedicht von Volker Braun. Franz hatte es mir aus seiner Kladde kopiert. Unter die letzten Zeilen hatte er eine Pinselzeichnung gesetzt, wie hingewischt. Auf einem dicken schwarzen Strich dunkle Gestalten, der Mond ein Klecks.
Ich kenne Franz Zauleck seit langem. Ich liebe seine feine Art zu zeichnen sehr. Ich schätze die eleganten Linien, die Blätter schmuckvoll dekoriert, das süße Licht der Farben. Doch das war neu! Ich bin ja im Vergleich zu ihm ein zeichnerischer Grobian. Die ungewohnte Kühnheit meines Freundes Franz erweckte mein Interesse. Ich fragte nach und er gestand, es seien Nebenbeiprodukte, er hätte lange schon den Plan, sie öffentlich zu zeigen. Nun ist es endlich soweit: Franz Zaulecks Blätter in allen Farben, Hauptsache schwarz.
Als ich mich mit Franz zum Vorgespräch in Lichtenberg traf, musste ich nicht lange suchen. Sie hängen in der Wohnung überall, die Gegenlichtfiguren. Sie haben, es ist offenbar, seine große Liebe! Sie hängen zwischen Funden und Trophäen. Neben der braunen Uhr aus Pappe, den Plakaten von de Chirico und von Atak. Sie hängen als Miniaturen an der Wand oder auch in einem Fall, zur Gruppe ordentlich addiert, in einem Riesenrahmen. Nur eine Zeichnung – wahrscheinlich war sie nagelneu – hing ein wenig schief in einer Plastefolie. Der größte Teil der Kollektion war unsichtbar, er steckte in den Mappen.
Der letzte Rotwein steht im Glas. Franz Zauleck ist noch angespannt von einer aufgetragenen Arbeit und ermattet. Es ist schon elf, weit in der Nacht, da wird es zu Papier gebracht. Es löst sich endlich – noch ein Schluck – der eingesperrte Übermut des Zeichners. Beflügelt vom Effekt der dunklen Farbe eilt der Pinsel schwarz und flüssig. Ohne Vorsatz, wie vom Nikolas aus dem Tintenfass gezogen, entstehen die Figuren fast von selbst. Rabenschwarz verziehen diese Hominiden keine Miene. Nur die Sprache ihrer Körper lässt erraten, wie es um sie steht. Mitunter werden sie bekrönt mit bunten Punkten. Zitate werden eingeklebt, verengte Gesichter aus fremden Quellen, heraus-
geschnitten aus der Kunstgeschichte und heutigen Journalen. Und wenn die Schnipsel farbig sind, beleben sie die Szenerie. Vom Dunkel kostbar eingefasst, beginnen sie zu leuchten.
Es geht in Franz Zaulecks Bilderwelt seltsam verschlüsselt zu, entstammen die Akteure doch nie geschriebenen Geschichten. Die schwarz Erstarrten sind sich selbst ein Rätsel. Sie scheinen nicht von dieser Welt zu sein. Sie geben sich recht unmodern. Oft sind es Wehleider mit hohen Hüten und vornehme Frauenzimmer in langen Kleidern. Sie scheinen nicht zu merken, dass ihre Zeit abgelaufen und die Zeiger ihrer Taschenuhren schon lange stille stehen. Die Ikonografie ist kompliziert, das Personal ist umfangreich: Neben den Honetten finden sich Wichtelmänner, Stalinisten, Tiere und Chimären. Ob ihrer schwarzen Silhouetten erinnern sie ein wenig an Scherenschnittfiguren aus dem Biedermeier, wirken sie wie Boten aus romantischer Zeit.
Auch wenn er es heftig bestreitet, Franz Zauleck ist dem vorvorigen Jahrhundert vor allem im Sentimentalischen, recht eng verbunden, der Sanftmut und dem unstillbaren Drang, der Enge der Verhältnisse, der Enge in der eigenen Brust zu fliehen. Doch mehr noch als auf die Idyllen bezieht er sich in seiner Arbeit auf sagenhafte Gegenwelten, die märchenhafte Seite der Romantik. Als Autor wunderbarer Kinderbücher kennt er sie alle. Für den Betrachter unsichtbar, der nicht an Märchen glaubt, sieht man sie alle sitzen auf seinem Arbeitstisch und in den Buchregalen. Sie baumeln mit den Beinen: Die Fromme Helene, Kai und Gerda, Alice Carroll, der Taugenichts und, kaum sichtbar in der Dunkelheit, Peter Schlehmils Schatten. Wenn sich das Märchen nicht erfüllt, wenn der Mond vom Himmel fällt, dann wird es duster, dann kommen die Gespenster. In den Tiefen seiner Mappen ist Unheimliches verborgen: Finstere Knaben schleichen durch die Nacht, zum Teil bewaffnet. Ein Racheengel fährt daher. Harlekine grinsen frostig. Sensenmänner, gleich als Paar, jagen die Draisine. Es gibt riesengroße Hühner und Grüße von der Bombenpost.
Wer fürchtet sich vorm Schwarzen Mann? Niemand! Wenn der Rumor Franzens hoher Stirn entweicht, dann niemals böse. Ach, er wäre es so gern! Doch er kann machen, was er will, er kann die Freundlichkeit des Herzens, er kann die elegante Zeichenhand nie ganz verleugnen. Früher war er Bühnenbildner, er ist es auch noch heute. Er ist Theatermann. Er kennt sich also bestens aus, dem Publikum was vorzuführen als Drama, als Burleske. Das alles mischt sich in dem düsteren Werk zur schwärzlichen Erheiterung zu komischen Grotesken. Das Komische, das ist bewiesen, kommt aus dem Kreuz und Quer der Existenz. Ein großer Mann sagte einmal, es sei die Zärtlichkeit der Angst. Ich sage noch, es schützt vor ihr und unterhält, am Ende auch den Macher selbst. So kann er es ertragen, das große Tohuwabohu, den disparaten Zustand dieser Welt. Wir haben es gerade hinter uns. Wir wissen nicht, was kommt. Der Sozialismus ist gestorben, der teure Tote war schon lange krank. Unsere geschützte Werkstatt ist verschwunden und alles ist mit Geld verbunden.
Franz Zauleck ist ein scharfer Denker und hat ein fröhliches Herz. Es sitzt links. So ist es nicht verwunderlich, dass ihm angesichts des traurigen Verlusts und neuer Lebenslügen manchmal das Lachen vergeht. Dann ist er nicht mehr so versöhnlich, dann guckt die Eule zwar noch in den gleichen Spiegel, aber anders heraus, wohl mit mehr Ernst und Schärfe. Wir sehen die Zeichen der gescheiterten Hoffnung in seinen großen Formaten: Noch hält der Bannerträger die Fahne fest am Schaft, noch kommt das Licht von hinten. Doch die Aktivisten der letzten Stunde taumeln hilflos im Verlust. Vergeblich die Bewegung. Hammer und Sichel sind zur Last geworden. Was sich ehedem kreuzte, dem Kapital zu wehren, hängt schwer an ihren Armen.
Ja, das Ende der Fahnenstange war erreicht! Wir haben wieder Bürgertum, es gibt wieder Bananen. Das gelbe Grau, das uns umgab, ist trügerischer Farbigkeit gewichen. Doch wie sein Alter Ego, der Chevalier de Silhouette mit seiner Schere, setzt Franz Zauleck mit dem Pinsel schwarze Zeichen in die strahlende Pracht. Zeichen der Erinnerung, der Sehnsucht und der Freundlichkeit zu unserem Vergnügen. Und wie die Schuster in seiner kleinen Kalendergeschichte, nehmen wir unsere dunklen Brillen ab und bemerken, dass Schwarz eine herrliche Farbe ist.

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