Franz ZauleckZaulex.de

10. März 2006: In Berlin fällt dicker Schnee vom Himmel herab - Ein Interview

Liebe Sabina Muriale, in Berlin fällt dicker Schnee vom Himmel herab.Hier sind meine Antworten auf Ihre Fragen.

Wie kamen Sie zu der Idee Ihres Buches »Prinzessin Eierkuchen«?

In dieser Geschichte wird ein Kind geboren und ändert – wie im richtigen Leben – alles: das Fürchten und das Hoffen. Nicht nur im Neuen Testament beginnt die Geschichte mit der Geburt eines Kindes in einer erbärmlichen Herberge. Diese Geschichte erzählen die Menschen, seitdem sie Geschichten erzählen.

Wodurch unterscheidet sich ihre Geschichte von herkömmlichen Märchen, mit Prinzessinnen und Hofstaat?

Dadurch, dass ich sie erzähle, wird es meine Geschichte. Wenn ein anderer sie erzählt, ist es seine. Unsere Beobachtungen und Erfahrungen können wir teilen, indem wir sie uns mitteilen. Der Wunsch, sich zu verbessern, ist ein Urwunsch, womöglich ein zentraler Konflikt des Menschen. Wenn einer zu mir sagt: „Du bist König!“, werde ich mein Recht einfordern. Jeden Tag hören wir: „Du bist König!“ und überall machen sich Menschen auf den Weg, das Schloss zu finden, das Ihnen zusteht. In meiner Geschichte geht das gut aus, meistens geht es nicht so gut aus. Die Variante, dass in Balthasars Haus schon jemand anderer eingezogen ist, also Rückkehr nicht mehr möglich ist, habe ich verworfen, das wäre eine neue Geschichte geworden. Balthasar hat nichts verloren und viel gewonnen.

Wie wichtig sind Märchen für Kinder, oder auch Bildergeschichten wie Ihre im Allgemeinen?

Im Märchen – jeder weiß es – sind die bitteren und süßen Erfahrungen von zweitausend Jahren verdichtet. Vor hundert Jahren noch saßen Eltern und Großeltern im Winter in den dämmerigen Hütten und erzählten Geschichten, Rätsel, Schnurren und Märchen. Die Kinder saßen daneben, betrachteten den Mond über den ziehenden Wolken und hörten zu. Wir bezahlen einen hohen Preis für unseren Wohlstand. In den Hütten wird Licht gemacht und der Fernseher eingeschaltet. Im Fernsehapparat erklären zirka dreißig Leute – es sind immer dieselben – jeden Abend allen anderen die Welt. Unsere Erfahrungen und Ängste, unsere Hoffnungen und Fragen werden weggewischt. „Kinder brauchen Märchen“, sagt Bruno Bettelheim. Ein wichtiger Platz für das Märchen ist das Buch geblieben. Nicht jedes gedruckte Buch wird gelesen, aber wenn es gelesen wird, hat der Fernseher Sendepause.

Worin liegt für Sie die Herausforderung für Kinder und Jugendliche zu schreiben?

Mich haben als Vorleser immer die Geschichten gelangweilt, die nur für meine Kinder bestimmt waren. Als ich mit dem Aufschreiben von Geschichten begann, wollte ich mich genauso amüsieren wie die Kinder. Die Bücher von Milne, Collodi und Astrid Lindgren lieferten den Beweis, das das funktioniert. Jetzt ist aus dem Aufschreiben Schreiben geworden. Ich schreibe vor allem für Kinder. Vielleicht hat das damit begonnen, dass alle von mir forderten, erwachsen zu sein. Weil ich das nicht wollte, blieb ich mit einem Bein im Kinderzimmer. Da lockt mich keiner heraus. Das muss es bei mir gewesen sein. Also mache ich etwas ganz Egoistisches: ich verlängere mit meinen Arbeiten für Kinder meine eigene Kindheit.

Inwieweit spielen Sie mit der Sprache (stilistisch), um das Kind in Ihre Welt der Geschichte zu ziehen?

Mich interessiert das Absurde beim Sprechen sehr. Es ist ein großes Wunder, dass wir uns so gut verstehen, obwohl wir ja alle permanent aneinander vorbei reden. Vielleicht ist unser Leben mehr ein Ergebnis von Missverständnissen als von Einverständnissen. Der Blick auf die Weltgeschichte macht deutlich, was ich meine. Wer Kindern beim Spielen und Erzählen zuhört, wird, wenn er hören kann, viel über unser Dasein erfahren. Niemand rückt von seinen Interessen ab und trotzdem kommt ein Spiel zustande oder es entsteht eine Geschichte. Der Pinguin und Hofrat in meiner Geschichte ist ein aberwitziger Demokrat; er liefert nicht einen Rat, nein, er macht aus fünf Interessen einen fünffachen Rat. Damit haben Kinder kein Problem.

Was möchten Sie mit Prinzessin Eierkuchens Geschichte den Kindern mitteilen?

Ich könnte jetzt antworten: die Dialektik von Illusion und Möglichkeit oder das Wunder des geordneten Rückzugs oder das Verhältnis von Armut und Würde oder wie feiert man Ostern und Weihnachten an einem Tag oder die Verbindung von Toleranz und Eigensinn et cetera. Das wäre alles nicht falsch. Aber das wäre nicht das, was mich vordergründig am Geschichtenerzählen interessiert. Ich weiß gar nicht, ob ich etwas mitteilen will. Ich denke, dass das Erzählen erst einmal ein in sich geschlossener Vorgang ist, alles andere folgt daraus. Die Lust einen Gedanken auszuspinnen ist der Motor des Erzählens. Die Absicht folgt als zweiter Schritt. Die Frage „Wie wird ein Bettler König?“, ist einfach interessant. Da gibt es, wie wir wissen, viele Varianten sich so etwas auszumalen. Fange an zu erzählen, du erlebst immer etwas. Und wenn du nicht weiterkommst, erfinde etwas. Gehe in die Welt, sie verändert sich beim Gehen. Du triffst Leute, die du sonst nicht kennenlernen würdest, die veränderte Perspektive verändert dich.

Wie wichtig ist die Illustration für Ihre Geschichte oder auch im Generellen für Kinderbücher? Und wie wichtig ist es für Sie beides zugleich zu sein: Schriftsteller sowie Illustrator Ihrer Bücher?

Kinder wollen Bilder sehen. Diese Bilder sind natürlich für einen Text eine gefährliche Zutat: sie engen ihn meistens ein, statt ihn zu erweitern. Wenn wir den Satz „Es lebte einmal ein König“ hören, wird der König in deinem Kopf ein anderer sein, als der in meinem. Wenn der Illustrator dem König Körper, Kostüm und Gesicht gibt, werden sich dein König und mein König auflösen und es ist nur noch der König des Zeichners da. Ein guter Zeichner lässt uns diesen Verlust verschmerzen. Ein schlechter Zeichner hat uns beraubt.
Die Verbindung von Autor und Illustrator in einer Person ist ideal und schwierig zugleich. Die Verständigung zwischen den beiden klappt in diesem speziellen Fall reibungslos, aber die Erfahrungen und Sichten sind ungeteilt. Was wäre, wenn ein anderer Illustrator meine Geschichten illustriert? Diese Frage wage ich nicht zu beantworten. Ich müsste es auf einen Versuch ankommen lassen.

Welche Resonanz erhoffen Sie sich von den Medien durch den Kinder- und Jugendbuchpreis? Vor allem für Sie in Deutschland?

Die beste natürlich. Ich weiß nicht, wie der Preis in Deutschland wahrgenommen wird, aber es wird mich freuen, wenn einige Leute von dem Buch erfahren, die ohne den Preis nicht davon erfahren würden.

Beste Grüße, Franz Zauleck
10. März 2006

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